„Als Kind bin ich mit Glas und Strohhalm zur Obstpresse gerannt und habe den frisch gepressten Süßmost direkt aus dem Fass getrunken."
Dem Klischee vom einfachen Volksgetränk Most, der oft als „saurer Hund“ bezeichnet wird, könnten sie kaum weniger entsprechen, die feinen sortenreinen Birnenmoste von Bernadette und Peter Haselberger. Im Gegenteil, die beiden wurden schon vielfach prämiert: Gleich fünf Mal konnten sie bei der Falstaff Wertung im Jahr 2019 über 90 Punkte erreichen. Der Wein-Journalist Jürgen Schmücking meint gar: „Der Herkunftsgedanke auf den Punkt gebraucht. Man schmeckt die Birne, das Terroir – das ist konzentriertes Mostviertel“. Feedback, das die Mostsommeliers stolz macht und beweist, dass der eingeschlagene Weg der richtige war.
Zurück zu den Wurzeln
Schon als Kind durfte Bernadette im Herbst mit ihren Eltern die gefallenen Birnen von den Streuobstwiesen einsammeln. Eine Erinnerung, die sie bis heute erfüllt: „Das war stets ein Erlebnis, wenn ich mit Glas und Strohhalm bewaffnet zur Obstpresse gerannt bin und Schluck für Schluck den frisch gepressten Süßmost trinken durfte. Der Geschmack war einfach mit keinem anderen Saft zu vergleichen.“ Heute arbeitet Bernadette gemeinsam mit ihrem Mann am landwirtschaftlichen Betrieb in St. Valentin im Mostviertel. „Dass ich einmal Bäuerin werde, hätte ich nie gedacht“, erzählt die studierte Marketingmanagerin. Eigentlich wollte sie nach dem Studium in die weite Welt hinaus, doch die Liebe und mittlerweile drei Kinder kamen dazwischen. Zum Glück. Denn Bernadette ist sichtbar und auch laut ihr selbst in ihrer Mitte angekommen. „Wer weiß, wenn nicht alles so gekommen wäre, ob ich dann überhaupt so eine Lebensfreude entwickelt hätte.“ Das Glück (mit)begründet hat die Mostbirne, die schon immer Teil des Bauernhofs der Familie Haselberger war. Knapp 200 Jahre alt ist der älteste Baum auf den weitläufigen Streuobstwiesen rund um den für die Region so typischen Vierkanthof. Bernadette war es ein Anliegen, die alten Bäume zu erhalten und nachhaltig zu nutzen.
„Wenn wir mit unseren Gästen eine Flasche Most von einem Baum öffnen, der 159 Jahre alt ist, dann spürt man schon eine gewisse Demut.“
Die grüne Pichlbirn
Jahrzehntelang ist Peter Haselbergers Großvater für die Ernte und Verarbeitung der Mostbirnen zuständig gewesen, 2015 zog er sich altersbedingt zurück. Die Frage nach der Weiternutzung des Betriebes blieb. Peter und Bernadette waren sich schnell einig: „Einen Versuch ist es allemal wert, dass wir den Betrieb weiterführen. Das erste Pressergebnis hat uns aber nur mäßig überzeugt. Viele Schulungen und Weiterbildungen später haben wir beschlossen, uns darauf zu fokussieren, von nur einem Baum eine Einzelbaumabfüllung zu machen. Seit 2020 veredeln wir jeden Jahrgang von unserer Grünen Pichlbirne separat. Natürlich ist das ein erheblicher Mehraufwand, der sich jedoch in Geschmack und Qualität bezahlt macht. „Wenn wir mit unseren Gästen eine Flasche Most von der grünen Pichlbirn öffnen, der 159 Jahre alt ist, dann ist da eine gewisse Form von Demut vorhanden. Peter und ich sehen die Region mit all den Streuobstwiesen überhaupt als Schatzkiste an. Wir dürfen das, was unsere Vorfahren gepflanzt haben, vergolden.“ Die mittlerweile berühmte Pichlbirn wurde übrigens gepflanzt, als der Vierkanter der Haselbergers anlässlich des Baus der damaligen Kaiserin-Elisabeth-Bahn (der heutigen Westbahn) verlegt wurde. Zu jedem Vierkanter hat man damals immer auch zumindest eine Pichlbirn gesetzt, weil die gerbstoffreiche Birne einen guten Most macht.
Der Most schmeckt, wie das Jahr war
Geerntet wird per Handarbeit wie schon vor 100 Jahren. „Fallobst pflückt man nicht, man wartet, bis die Früchte von selbst am Boden landen. Der Vorteil ist, dass die Birnen dadurch garantiert reif sind, was für den Geschmack wichtig ist. Der Nachteil besteht in partieller mikrobiologischer Verunreinigung. Dies ist in der Verarbeitung eine Herausforderung, wir versuchen aber, so wenig als möglich einzuwirken, um dem Obst seine Seele zu lassen.“ Der Trend geht in Richtung Natural Wines, also die natürlichen Gerbstoffe sollen weitestgehend erhalten bleiben, überhaupt greifen wir so wenig wie möglich ein. Daher wird teilweise auch unfiltriert abgefüllt. Zeit spielt ebenfalls eine große Rolle: „Wir produzieren keinen Jungmost, sondern lassen den Most über ein Jahr zur Reifung im Fass. In jeder unserer Sorten kannst du den Verlauf des Erntejahres schmecken. Gab es viel Sonne, hat es viel geregnet, konnten die Birnen gut gedeihen, ist der Baum gesund?“
Von Sorten- und Geschmacksvielfalt
Mehr als 200 verschiedene Birnensorten wachsen heute noch im Mostviertel, das als Europas größtes zusammenhängendes Birnbaum-Gebiet gilt. „Wenn es über 200 Sorten gibt, und man die alle sortenrein abfüllen würde, das wäre eine unglaubliche Geschmacksvielfalt, die noch komplett unentdeckt ist!" Auch, was die Sortenvielfalt für die Biodiversität bedeutet, erklärt Bernadette: „Unsere Streuobstwiesen sind das Natürlichste, was es gibt. Die Bäume werden, bis auf einzelne Schnitte, überhaupt nicht behandelt. Die teilweise uralten Bäume bieten sie einen großen Lebensraum für Tiere und Pflanzen und sind auch klimarelevant, weil sie soviel CO2 binden. Abgesehen davon: Wenn man im Frühjahr durch die Birnbaumzeiler fährt und die Mostbaumblüte sieht – das ist einfach ein Traum!“ Um die Sortenvielfalt zu erhalten, haben die Haselbergers auch einen Sortengarten geplant, der zur Vermehrung seltener Birnensorten beitragen soll. Die Geschmacksvielfalt ist auch bei Bernadette und Peter schon Programm: „Wir pressen aktuell unter anderem Speckbirne, Stieglbirne, Dorschbirne, Landlbirne sowie die Grüne Pichlbirn. Und füllen immer nur ab, was uns schmeckt: Weil das Leben zu kurz ist, um schlechten Most zu trinken!"
Ein Most, der inspiriert. Im nordwestlichen Eck des Mostviertels auf 500 Meter Seehöhe gedeiht in der Nähe von St. Valentin das beste Fallobst für die prämierten sortenreinen Birnenmoste der Familie Haselberger.