Schon mit zwei Jahren wollte Alexander Schneller in der Manege stehen. Ein Jahr später war es dann so weit und der junge Bub tanzte vor dem Publikum zu den Liedklängen des Songs „Lambada“. Was für viele Kinder ein Traum blieb, war für ihn Wirklichkeit und Heimat zugleich: Ein Leben im Zirkus Pikard in Niederösterreich. „Mein Vater wollte es mir und meinen drei Schwestern ermöglichen, so aufzuwachsen, wie er es einst erlebte. Er kam 1936 in Ungarn in einem Zirkusholzwagen zur Welt und lernte dieses Leben wie ich von Beginn an kennen und lieben.“ Die Mutter übernahm somit die schulische Ausbildung und aus dem „Lambada“-tanzenden Jungen wurde schnell ein Vollblutkünstler. Als einer der besten Jongleure Europas hat er sich einen Namen gemacht, über 5000 Mal stand er mittlerweile auf der Bühne, seit 2014 ist er stolzer Zirkusdirektor des Familienunternehmens. „Ich brauche das Publikum und möchte begeistern. Wenn ich den Zirkus Pikard nicht hätte, wäre ich nie so weit gekommen.“
„Ich brauche das Publikum und möchte begeistern. Wenn ich den Zirkus Pikard nicht hätte, wäre ich nie so weit gekommen“
„In Russland steht der Zirkus über dem Theater, in Frankreich und Deutschland gibt es eigene Artistenschulen, Wien hat hingegen nicht einmal mehr ein Varieté“
Wo Zusammenhalt und Respekt am meisten zählen
Das dieses Leben mit harter Arbeit verbunden ist, daraus macht Alexander kein Geheimnis: „Ich beginne als Erster und gehe als Letzter.“ Es ist eine Reise der zeitlosen Unterhaltung: Vor hunderten Jahren zogen Gaukler und Seiltänzer durch die Städte, heute hat sich der Zirkus zu einem ernstzunehmenden Betrieb weiterentwickelt. Die monatlichen Kosten müssen gedeckt, der Lohn für die Mitarbeiter erwirtschaftet, alle notwendigen Anmeldungen getätigt, Steuern und Zahlungen an die Kassen erledigt werden. Insgesamt stehen 38 Fahrzeuge am Gelände, das Zelt bietet Platz für 400 Personen, 18 Mitarbeiter werden beschäftigt, welche aus Marokko, Ungarn, Deutschland, der Schweiz, der Ukraine und natürlich aus Österreich stammen. „Wir haben 16 Artisten in der Manege, im Alter von zehn bis 51 Jahren. Wir machen den Zirkus nicht, weil wir müssen, sondern weil wir wollen.“ Dass man bei dieser Arbeit automatisch körperlich fit ist und bleibt, liegt auf der Hand: der Auf- und Abbau der Zelte, das Training für die eigenen Zirkuslektionen, die Pflege der Tiere, jeder hilft jedem, alle helfen zusammen. Warum das funktioniert? „Weil der Zirkus eine Künstlerwelt ist, wir machen keine Unterschiede. Jeder gibt sein Bestes und das sollte man respektieren und belohnen. Ich bin nicht perfekt und das sind meine Artisten auch nicht, aber sie sind in jedem Fall sensationell und fabelhaft.“
Zirkus macht Schule, Schule macht Zirkus
Nicht nur die regelmäßigen Auftritte stehen im Fokus, wenn der Zirkus Pikard ausgehend von Pulkau im malerischen Weinviertel in die verschiedensten Ortschaften Niederösterreichs reist und seine Zelte aufschlägt, zudem werden spezielle Programme für Volksschulen angeboten. „Innerhalb einer Woche zeigen wir den Schülern, wie ein Zirkus funktioniert. Sie werden überall eingebunden, in der Manege, beim Karten abreißen oder beim Einstudieren von Zirkuslektionen.“ Das Ergebnis ist sensationell. „Man glaubt gar nicht, wie sehr die Kinder aufblühen. Je mehr du gibst, desto mehr bekommst du zurück.“ Und der Dank ist groß, nicht nur vonseiten der Kinder, auch von den Eltern und Lehrern. Dennoch, das schönste Geschenk sind für Alexander strahlende Kinderaugen. „Die Zirkuswelt ist inspirierend, fördert die Kreativität und erfüllt Träume.“ Hier ist einfach alles möglich: Da gibt es rechnende Ponys oder 12-jährige Tuchakrobatinnen. Dinge, von denen man sich denkt: Naja, ist das jetzt normal? Vielleicht nicht, aber wer bestimmt das schon. „Es macht schlicht und einfach Spaß. Wir haben keinen politischen Auftrag, müssen kein Zeichen setzen. Abgesehen davon ist der Zirkus ohnehin ein Zeichen für Lebensfreude. Jeder soll kommen und sich davon selbst überzeugen. Das einzige, was ich nicht mag, sind Vorurteile.“
Wo ist die Zirkuskultur in Österreich?
Zirkusafferl. Zigeuner. Tierquäler. All das hat Alexander schon zu hören bekommen. „Manche Besucher fragen mich heute noch, ob ich überhaupt Lesen und Schreiben könne.“ Harte Worte, die einerseits Kopfschütteln auslösen, andererseits Antrieb sind: „Ich möchte mit dieser einseitigen Meinung aufräumen und zeigen, was unsere Welt wirklich ausmacht.“ Kein leichter Job, wenn das Land die Artisten offiziell nicht einmal als Künstler anerkennt: „Nach österreichischem Recht ist ein Künstler deklariert als Maler, Bildhauer oder Komponist. Wo man etwas für die Ewigkeit hinterlässt, Kunst erschafft. Meine Kunst, die ich zeige, ist vergänglich und nur für den Moment bestimmt.“ Den Zirkus als Teil der österreichischen Kultur anzuerkennen, dies wäre sein brennendster Herzenswunsch: „In Russland steht der Zirkus über dem Theater, in Frankreich und Deutschland gibt es eigene Artistenschulen, Wien hat hingegen nicht einmal mehr ein Varieté.“
Persönlicher Kontakt versus Internetkonsum
Und doch finden die Leute immer wieder den Weg in das bunte Zirkuszelt. Dass man dabei auf das notwendige Marketing nicht verzichten darf, ist klar: „Natürlich sind wir auf Facebook, Instagram und YouTube vertreten. Unsere Homepage gibt es seit über 20 Jahren, wir sind der meistgesuchteste, österreichische Zirkus im Google-Ranking.“ Und dennoch erhalten Besucher die Eintrittskarten ausschließlich am Kassawagen, frühestens eine Stunde vor Vorstellungsbeginn. Onlinevorverkauf gibt es keinen. „Weil mir der persönliche Kontakt wichtig ist“, stellt Alexander klar. Und auch sonst kommt der Zirkus Pikard hervorragend ohne modernen Schnick-Schnack aus. „Clowns, Tiere und Artisten – das bekommen unsere Besucher zu sehen, kein Blitzlichtgewitter oder Konfettiregen.“ Natürlich untermalt mit moderner Musik und Lichttechnik, aber im Grunde ist und bleibt es traditionelle Handwerkskunst: „Und wenn ein Programmpunkt schief geht, geht er schief und alle sehen zu. Dann wiederholen wir die Nummer und meistens funktioniert es im zweiten Anlauf. Echter Zirkus eben. Nichts anderes wollen wir zeigen.“
Alexander, der einzige Sohn von Ernö und Elisabeth Schneller, wurde 1987 in Wien geboren. Das Jonglieren ist seine Stärke. Seine unbekümmerte Art und sein großes Können begeistern alle.